Thomismus

Thomas von Aquin

Die Werke des hl. Thomas von Aquin haben gerade auch als Maßstab der katholischen Theologie und Philosophie zu gelten; nicht nur, weil sie durch Leo XIII (Aeterni Patris) lehramtlich dazu erhoben wurden, sondern vor allem auch deshalb, weil sie in einer zuvor und nachher unerreichten Gnadenfülle die Wahrheit über Gott und Welt, über Kirche und Mensch in sich fassen.

Gott ist Ursache und Ziel aller Wirklichkeit

Von seinem Lehrer Albertus Magnus zur Philosophie des Aristoteles hingeführt, schaffte er eine geniale Synthese aus aristotelischer Weltbetrachtung, dem Erbe antiker Philosophie (Platonismus) und der aus der christlicher Offenbarung hervorgegangenen Grundeinsicht in das Wesen Gottes:

Zwar ist Gott das ipsum esse subsistens, das in sich subsistierende Sein selbst, das als actus purus, als reinste Vollkommenheit und Fülle des Seins weder eines Werdens oder irgend einer Veränderung noch des Geschöpfes bedarf; doch ist Gott für Thomas deshalb keineswegs der sich selbst genügende und sich selbst denkende Geist, als den Aristoteles das Absolute bezeichnet hatte, sondern er ist der dreifaltige Gott, der aus dem Überfluß seiner Liebe die Geschöpfe ins Dasein gerufen hat, ja der sie durch seine Vorsehung liebend umsorgt, um sie schließlich durch das Kreuz mit sich zu versöhnen und durch die durch Christus gestiftete Kirche mittels der Sakramente zu sich zurückzuführen.

Der bedeutendste Theologe des Mittelalters

Dementsprechend ist die Theologie des engelgleichen Lehrers, des doctor angelicus, wie der Aquinate auch genannt wird, in der Ganzheitlichkeit der menschlichen Geistesakte beheimatet: Verstand und Wille kommen in ihr zusammen, um sich auf dem Gipfel des menschlichen Geistes überformen zu lassen von der Gnade Gottes; so hat der hl. Thomas aus der Tiefe seiner gelehrten Mystik mit die schönsten Hymnen der Kirche verfaßt: Pange lingua und Tantum ergo sacramentum.

Alle für die Philosophie und für seine Beurteilung von Welt und Mensch entscheidenden Motive entnimmt der hl. Thomas einer auf der Offenbarung beruhenden Einsicht in das Wesen Gottes:

Eigenschaften, die jeder der drei Personen in Gott zuzuscheiben sind, finden in analoger Weise eine Entsprechung in der endlichen Welt. Während Gott-Vater die Allmacht zugeschrieben wird, nennt man Gott-Sohn die Wahrheit und den heiligen Geist die Liebe.

Von daher liegt es nahe, daß Thomas die Ideen, welche Platon als an sich bestehende Wirklichkeit aufgefasst hatte, in Anschluß an Augustinus als die Gedanken Gottes (der logos, das Wort), bezeichnet, die in ihrer Nachahmbarkeit (participatio) die ewigen Urbilder (causa exemplaris) der real existierenden Dinge sind.

Die Metaphysik des hl. Thomas von Aquin

So beruht die thomistische Ontologie auf der grundlegenden Analogie des Seins: die ganze Welt ist in ihrer Endlichkeit doch ein ganz und gar von Gott allumgreifend verursachtes Ordnungsgefüge (Seinsordo; Schöpfungslehre; Lehre von den vier Ursachen). Die Geschöpfe sind Werk und Spur des dreifaltigen Gottes, der sich in ihnen als Universalursache zu erkennen gibt.

Erkenntnistheorie

In seinem Werk „Quaestiones disputatae de veritate“ – von der Wahrheit definiert der hl. Thomas die Wahrheit als die Übereinstimmung von Gegenstand und Verstand (Adäquationstheorie). Diese gründet in der ontologischen Übereinstimmung der geschaffenen Dinge mit jener absoluten Wahrheit, die sie ins Dasein gerufen hat. Eben dieser in den Dingen als deren Wesenheit ausgeprägten Wahrheit kann sich der Mensch (sozusagen als Subjekt) in der Erkenntnis in einem Abtsraktionsprozeß angleichen (logische Wahrheit). Ist diese Übereinstimmung erreicht, spricht man von der ontischen Wahrheit, denn „aufgrund dessen, daß eine Sache ist oder nicht ist, ist unsere Meinung und Rede wahr oder falsch“, wie es Thomas seiner theologischen Summe ausdrückt (Ia q. 21, a.2 ).

Die Lehre vom Menschen („Anthropologie“) des Thomas von Aquin

Der Mensch ist aufgrund seiner Geistigkeit, deren Hauptstrebungen die Einsichtskraft (intellectus) und freier Wille (voluntas) sind, nicht nur Spur, sondern Abbild Gottes: als Träger einer unsterblichen Geist-Seele („anima forma corporis“) hat der Mensch die Fähigkeit, in der ihm gegebenen Willensfreiheit die Wahrheit aller Wirklichkeit zu erkennen und anzuerkennen, um dadurch seine naturgegebene Hinordnung auf Gott zu erfüllen.

Die Glückseligkeit ist nur durch Gnade zu erreichen

Zwar ist der Mensch von seiner Natur her finalursächlich auf Gott hin ausgerichtet, der er in einem Akt intellektueller Erkenntnis gewissermaßen zu besitzen begehrt, doch ist ihm dies nicht aus eigener Kraft möglich, denn der Abstand zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen bleibt trotz aller Transzendenz des menschlichen Begehrens und trotz der Analogie des Seins unendlich. So findet denn der Mensch einzig in der Annahme des Erlösungsgeschenkes jenes dreifaltigen Gottes seine Erfüllung, der von sich aus, eben als Gandengeschenk, das geistige Verlangen des Menschen in Form der über alles beglückenden visio beatifica zu beschenken sucht.

Thomistische Ethik

Auch die Ethik begründet Thomas auf der peripatetischen (= aristotelischen) Philosophie. Das Endziel des Menschen ist von objektiver Seite her die Verherrlichung Gottes, und gewissermaßen von der subjektiven Seite her jene Glückseligkeit, die der Mensch einzig im liebenden Erkennen des Absoluten findet. Von da her hat er sein ganzes Geistes- und Seelenleben, aber auch seine sozialen Beziehungen, zu ordnen (was ihm freilich ohne Hilfe der Sakramente und der Lehre der Kirche nicht gelingen kann). Dementsprechend ist die Grundregel (prima regula), die dem Willen des Menschen das Maß vorgibt (commensurans voluntatem), das ewige Gesetz (lex aeterna), in dem Thomas nichts anderes als die Vernunft Gottes (ratio Dei) am Werke sieht – und genau dieses ewige Gesetz offenbart dem Menschen die Vernunft. Das Gewissen wendet nun diese Prinzipen auf den Einzelfall an – und hat somit nicht das geringste zu tun mit jener Beliebigkeit und Willkür, die man heute vielfach mit dem Gewissensbegriff verbindet.

Leben

Das Werk des hl. Thomas von Aquin, geb. 1225 auf Schloß Roccasecca (Latium), gest. 1274, 1323 heiliggesprochen, verbindet in einzigartiger Vollkommenheit das Beste antiker Philosophie, des Platonismus, des Aristotelismus, christlicher Philosophie (v.a. Augustinus) und den Inhalten christlicher Offenbarung und der daraus hervorgegangenen katholischen Dogmatik.

Für knapp 10 Jahre, seit ca. 1230 war Thomas Oblate in der Bendediktinerabtei von Montecassino; er begann 1239 das Studium der freien Künste an der Universität in Neapel; 1244 aber trat er – sehr zum Mißfallen seiner Familie, die ihn auf die Burg Roccasecca entführte, um ihn für eine weltliche Karriere zu gewinnen – in den Dominikanerorden ein.

In Paris, wo er Philosophie studierte, traf er auf Albertus Magnus, dem er 1248 für vier Jahre nach Köln folgte. Im Jahre 1252 wurde er zum Priester geweiht, um in den folgenden Jahren Werke von bleibendem Wert zu verassen, u.a. „de ente et essentia“. Als Magister der Pariser Universität verfaßte er De Veritate, einige kleinere Quodlibetales und Super Boetium de Trinitate.

Nch Italien zurückgekehrt, verfaßt er in Orvieto die Summa contra Gentiles, und beginnt die Catena aurea, De Potentia, De anima, das Compendium theologiae und die Summa theologiae.

In die Jahre 1268 bis 1259 datiert man den zweiten Aufenthalt des hl. Thomas in Paris, wo er die Kommentare zu Aristoteles und zum Johannes- und Matthäus-Evangelium, sowie einige kleinere Schriften verfaßt.

1272 kehrte Thomas nach Neapel zurück, um seine Summa theologiae zu vollenden, was ihm allerdings nicht mehr gelang, denn am 6. Dezember 1273 hatte er während der hl. Messe ein großes mystisches Erlebnis, in dem ihm Dinge offenbart wurden, die so gewaltig waren, daß ihm alles, was er geschrieben hat – der größte Theologe aller Zeiten! – „wie Stroh“ erschien, so daß er fortan schwieg und auch keine einzige Zeile mehr schrieb.

So beendete er denn die Summa theologiae in der tertia pars beim Traktat über die Buße – was in den heutigen Ausgaben dieses Werkes nachfolgt, ist das sogenannte Supplementum, das von den Schülern des Aquinaten ergänzt wurde.

Thomas von Aquin wurde am 18. Juli 1323 heiliggesprochen, und am 25. April 1567 zum Kirchenlehrer ernannt.

Werke

Im sogenannten Corpus thomisticum, also den Werken, die der hl. Thomas voin Aquin verfaßt hat, ist neben der theologischen Summe, lat.: Summa theologiae, die Summa contra Gentiles das bedeutendste, und das mit der größten geschichtlichen Wirkung.

Die Summa theologiae

Die „Summa“, wie sie auch kurz genannt wird, ist eigentlich eine Einführung in die Theologie, die den Leser mit den wichtigsten Teilgebieten und Inhalten der Theologie, zugleich aber auch mit deren philosophischen Grundlagen vertraut machen soll.

Sie gliedert sich in 3 Teile:

Die pars prima (Ia) behandelt Gott, wie er sozusagen in sich ist, und wie er sowohl durch den geoffenbarten Glauben, aber auch mit der Vernunft erkennbar ist. So wird Gott als Schöpfer der Welt (aller Lebewesen und Dinge) zum Thema.

Die pars secunda (IIa) befaßt sich mit Gott als dem letzten Ziel des Menschen, mit dem sittlichen Gesetz und von da aus auch mit den menschlichen Akten, in welchen der Mensch auf Gott, das letzte Ziel aller Wirklichkeit, hingeordnet ist.

Die tertia pars (IIIa) hat Jesus Christus, den Mensch gewordenen Gott zum Thema, der uns durch sein Leben, seinen Tod am Kreuze und seine Auferstehung das Heil vermittelt hat, und der die Kirche gestiftet hat, in welcher er durch die Sakramente weiter wirksam ist.

Die Summa contra Gentiles

Die „Summe gegen die Heiden&ldquo (meist zitiert als ScG) richtet sich an diejenigen Völker, die Christus noch nicht ihren Erlöser erkannt haben, d.h. in erster Linie an die Moslems und an die Juden seiner Zeit.

Dieses Buch macht besonders sein apologetischer Charakter so bedeutsam, denn es versucht, mit den Mitteln rein philosophischer Argumentation, das Wesen Gottes, und seine Erkennbarkeit für die menschliche Vernunft darzulegen (Buch I)

Im zweiten Buch wird auf dieser Grundlage dargelegt, daß die Welt, und alles, was in ihr ist, nicht ewig, sondern von Gott aus dem Nichts erschaffen ist.

Im dritten Buch wird in einer gerade auch für den heutigen Leser sehr bewegenden Weise dargestellt, daß die vernunftbegabten Wesen, und das heißt v.a. der Mensch, ihr Glück nur in Gott finden können, und wie sie ihn durch Erkenntnis (theoretisch) und durch Liebe (praktisch), anstreben (Ethik).

Das vierte Buch der Summa contra Gentiles versucht nun die zentralen Elemente des christlichen Glaubens darzutun: die Dreifaltigkeit Gottes, seine Menschwerdung und Auferstehung und die daraus hervorgehenden Sakramente.

Der Sentenzenkommentar

ist eine für den scholastischen Lehrbetrieb klassische Sammlung ausgewählter Aussagen bzw. Lehrsätze (Sentenzen) der Kirchenväter und der wichtigsten Kirchenlehrer, welche eine systematische Darstellung des Inhaltes der gesamten Theologie bietet. Wie schon der Sentenzenkommentar des Petrus Lombardus, welcher gewissermaßen das Ur- und Vorbild der unzähligen Sentenzenkommentare ist, welche von den Magistern der Scholastik verfaßt wurden, befaßt sich auch der Sentenzenkommentar des hl. Thomas v.a. mit der Gotteslehre, der Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes, mit der Schöpfungslehre, der Christologie und der Sakramentenlehre.

De Veritate

(eigentlich: Quaestiones disputatae de veritate – Streitfragen über die Wahrheit) bietet gewissermaßen die Lehre von der Wahrheit und ihrer Erkenntnis:

Schon in der ersten Quaestio wird die Frage: „was ist Wahrheit?“ mit dem klassisch gewordenen Satz beantwortet: „veritas est adaequatio rei et intellectus“, zu deutsch: Wahrheit besteht in der (ist die) Übereinstimmung (Angeglichenheit) von Sache und Verstand. Dabei ist eine dreifache Übereinstimmung angesprochen: Die Entsprechung der Sache mit der Vernunft Gottes, der sie erschaffen hat (ontologische Wahrheit), die Übereinstimmung von menschlicher Erkenntnis und dem erkannten Sachverhalt, und die Wahrheit der Aussage.

Compendium theologiae

Das Kompendium der Theologie bietet eine ebenso knappe wie ansprechende Zusammenfassung der christlichen Glaubenslehre und ist gewissermaßen ein kleiner Katechismus des hl. Thomas von Aquin.

Die Kommentare zu Aristoteles

sind für die abendländische Geistesgeschichte von schier unendlichem Wert: Sie zeigen, wie der größte Kirchenlehrer die Werke des Aristoteles für die christliche Philosophie und die katholische Theologie fruchbar gemacht hat.

Historisch weniger bedeutsam, aber genau so lesenswert sind:

die Kommentare zu Dionysius Areopagita (de divinis nominibus), zu Boethius (de trinitate), und zum Liber de causis, die Thomas verfaßt hat.

Dazu kommen mehrere kleine (Streit-) Schriften (quaestiones disputatae und quaestiones quodlibetales), die je nach Thema sehr lesenswert sind.

In theologischer Hinsicht sind außer der Summa theologiae wichtig:

Die Bibelkommentare,

v.a. der Kommentar zu den vier Evangelien, der in der sogen. catena aurea – der „goldenen Kette“– des hl. Thomas von Aquin zusammengefaßt ist. Darin kommentiert Thomas jeden Satz der Evangelien anhand bedeutender Zitate der Kirchenväter.

Die Hymnen zum Fronleichnamsfest

(am bekanntesten: Adoro te devote, Lauda Sion und das Tantum ergo) sind schließlich auch zu nennen, die in in vollkommener sprachlicher Schönheit die Tiefe jener Glaubensgeheimnisse ausloten, die sich um die sakramentale Gegenwart Gottes im Sakrament des Altares ranken.

Schade nur, daß es nicht für alle diese Werke auch deutsche Übersetzungen gibt!

Sekundärliteratur

Bedeutung und Fortwirken des Thomismus

Die Summa Theologiae des Aquinaten, der 1567 zum Kirchenlehrer erhoben wurde, wurde schon bald als Lehrbuch für den Theologieunterricht verwendet.

Zu den Vertretern eines strengen Thomismus werden u.a. Domingo Banez, Johannes a St. Thoma, Franz Sylvester von Ferrara, Thomas de Vio Cajetan, Charles René Billuart und auch der Dominikaner Réginald Garrigou-Lagrange gezählt; ihre Kommentare halten sich streng an die Vorgaben ihres Vorbildes, während v.a. die Jesuiten die Neigung hatten, das System zu erweitern bzw. zu verlassen (z.B. Franz Suarez, der an den Skotismus anknüpft).

Einen echten Aufschwung erlebte der Thomismus aufgrund der Empfehlung Leos XIII, der im Jahre 1879 in der Enzyklika Aeterni Patris das Studium des hl. Thomas empfahl, und so in gewisser Weise dem Neuthomismus zu einer Blüte verhalf, die v.a. mit den Namen R. Garrigou-Lagrange, E. Gilson, und J. Maritain zu verbinden ist.

Während sich die analytische Philosophie aufgrund der Stringenz der thomistischen Philosophie zur Bewunderung des hl. Thomas aufraffen kann, wird diese in den modernistischen Seminaren zumeist ignoriert, ja oft genug völlig verkannt: zu sehr fürchten die meisten jener Theologen, die dem Modernismus verfallen sind, das Gegengift der „Philosophie des gesunden Menschenverstandes“, wie Jacques Maritain die Scholastik so treffend genannt hat.

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